Während die Digitalisierung alter Filmschätze voran kommt, kann einer der bedeutendsten Filmhistoriker dies nicht mehr erleben.
Längere Zeit hat uns das Logo des Medienwissenschaftlers Klaus Kreimeier in unserer Berichterstattung zur Rettung des deutschen Filmerbes begleitet. Zuletzt ermahnte er noch einmal eindringlich mit seiner Initiative, die wir bei uns am 29. April 2018 veröffentlichten, sowohl das Filmerbe, als auch das Bundesarchiv finanziell besser auszustatten.
Nun berichtete der Tagesspiegel am 6. August 2018, dass die Rettung des Filmerbes endlich voran kommt.
Leider kann dies der Filmhistoriker Enno Patalas nicht mehr erleben. Die süddeutsche Zeitung meldete, dass der wohl bekannteste deutsche Filmhistoriker, der zusammen mit Ulrich Gregor, dem Mitbegründer der Freunde der Deutschen Kinemathek und ehemaligen Leiter der Berlinale Sektion »Forum des jungen Films«, 1962 eine "Geschichte des Films" publizierte, am 7. August 2018 im Alter von 88 Jahren in München verstarb.
Von 1957 bis 1970 war Enno Patalas Redakteur der Zeitschrift "Filmkritik", die er mit gegründet hatte. Ab 1973 bis 1994 leitete er als Direktor das Filmmuseum München, für das er bedeutende Retrospektiven zu Regisseuren und weiteren Filmthemen organisierte. Pionierarbeit leistete Patalas bei der Restaurierung und Rekonstruktion deutscher Stummfilme; insbesondere zu den beiden Filmen "Metropolis" und "Die Nibelungen" von Fritz Lang.
Vor allem die Cinephile Kultur, die im Zeitalter von Medien wie DVD und VoD im Internet verlorengegangen zu sein scheint, bewegte ihn sehr. Die scheinbar überall und jederzeit bestehende Verfügbarkeit von Filmen auf neuen Medienträgern, führt seiner Meinung nach zu einer anderen Einstellung des Filmerlebens. Früher waren Filme ausschließlich auf großer Leinwand in speziellen Kinos zu sehen. Dafür reiste manch einer zu den entlegensten Orten und Filmfestivals, um als Erster ein neues Werk eines bestimmten Autors hautnah selbst erleben zu können.
"Diese Einstellung scheint langsam verloren zu gehen, auch wenn der Zusatznutzen neuer Medien andere Vorteile bietet, die man nicht ganz infrage stellen sollte", so Enno Patalas.
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Das Gedächtnis der Bilder - Die Digitalisierung des Filmerbes
Nach langem hin und her kommt die Rettung des Filmerbes in Deutschland wohl endlich voran. Kulturstaatsministerin Monika Grütters hatte die Bundesländer aufgefordert mitzumachen. Während andere europäische Kulturnationen schon viel weiter sind, wurde in Deutschland von vielen Seiten beklagt, dass in den Archiven Schätze schlummern, die vom Verfall bedroht sind.
Über das Konzept zur Rettung herrscht allerdings unter Expertinnen und Experten Uneinigkeit. Geht es beim sogenannten Filmerbe um die besten Filme der nationalen Kinematografie, den vermeintlichen Meisterwerken der Filmgeschichte, oder prinzipiell um die vom Verfall bedrohten Filmnegativstreifen? Vielleicht geht es sogar bereits auch um alte Videobänder, deren Aufnahmetechnik mittlerweile schon so veraltet ist, dass es kaum noch Geräte gibt, um sie wiedergeben zu können?
Doch vor allem stellen die seit Ende des 19. Jahrhunderts bis weit in die 1950er Jahre verwendeten Filmträger auf Nitratbasis eine akute Gefahr für Fotosammlungen und historische Filmarchive dar. Dieses hochbrisante Gemenge verfügt über eine höhere Sprengkraft als Schwarzpulver, weshalb Filme mit Nitrozelluloseträger heute unter das Bundessprengstoffgesetz fallen und in Bunkern gelagert werden müssen.
Feuchtigkeit in den Archiven, der Schimmel verursachen kann, ist eine weitere Gefahr für das Filmerbe. Auch Farbfilme sind sehr anfällig umzukippen, sodass von der ursprünglichen Farbpracht im schlimmsten Fall nur noch ein Rotstich übrig ist, die auch mit digitalen Hilfsmitteln nur schwerlich und sehr kostenintensiv wieder hergestellt werden kann.
Sogar bereits digitalisierte Werke sind nicht vor dem Verfall geschützt. Videobänder und Festplatten müssen regelmäßig gewartet und immer wieder auf modernere Medien umkopiert werden, damit sie noch abspielfähig bleiben. Erst in letzter Zeit sind Medien auf den Markt gekommen, von denen Hersteller eine längere Haltbarkeit von bis zu 100 Jahren versprechen.
Doch die Erfindung des Films liegt selbst gerade erst gut 100 Jahre zurück und schon muss diskutiert werden, wie sein Erhalt am Besten gelingt.
Ein Großteil der deutschen Filmgeschichte liegt im Bundesfilmarchiv oder befindet sich im Bestand der Deutschen Kinemathek. Aber nur eine relativ geringe Zahl von deutschen Filmen ist heute als DVD oder BluRay erhältlich. Nicht einmal die Archive der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten stehen zur freien Nutzung zur Verfügung.
Erst nach zähen Verhandlungen zwischen Kulturstaatsministerin Monika Grütters (BKM), der Filmförderungsanstalt des Bundes (FFA) und den Vertretern der Länder kam im Juni 2018 eine „Verwaltungsvereinbarung zur Digitalisierung des nationalen Filmerbes“ zustande.
Der Übergang von der analogen Filmgeschichte in die digitale Ära zu bewältigen, ist kein leichtes Unterfangen. Es ist nicht nur kostspielig, es ist häufig auch eine Rechtfrage, vor allem bei scheinbar „verwaisten“ Werken. Zudem beklagen sich seit Jahren Institutionen und Stiftungen, die sich um die Erhaltung des deutschen Filmerbes kümmern, über unzureichende Mittel.
Erst 2018 haben BKM und FFA ihre Förderung erstmalig auf je 3,3 Millionen Euro erhöht, was angesichts unendlicher Mengen an noch zu bearbeitenden Material, nur wie ein Tropfen auf den heißen Stein zu sein scheint.
Mit dem neuen Vertragswerk zwischen den Ländern und ihren regionalen Förderungen, dem Bundesfilmarchiv, der Deutsche Kinemathek, dem Deutschen Filminstitut in Frankfurt sowie der Murnau Stiftung und der Defa-Stiftung, das am 30. September 2018 beschlossen und am 1. Januar 2019 in Kraft treten soll, ist zwar Planungssicherheit für die kommenden 10 Jahre gegeben, doch dafür sollen die deutschen Filmerbe-Institutionen insgesamt "nur" 100 Millionen Euro erhalten.
Aufs Jahr gerechnet sind dies nämlich jeweils gerade mal 10 Millionen Euro und somit ein sehr überschaubares Budget für eine komplette Filmgeschichte, deren Digitalisierung Monika Grütters „eine Jahrhundertaufgabe“ nennt.
Rainer Rother, Direktor der Deutschen Kinemathek kann dem Ansatz dennoch etwas Positives abgewinnen. „Für unsere Arbeit bedeutet dies, dass man über Jahre neue Perspektiven entwickeln kann und nicht je nach Finanzierungslage von Projekt zu Projekt springen muss. Es ermöglicht uns auch einen konzeptuellen Ansatz: Man kann etwa zu einem Jubiläum in 2022 gleich ein kleineres Paket mit Filmen restaurieren.“
Dietrich Reupke, Referatsleiter für Film und Medien in der Berliner Senatskanzlei wird die Koordination der Filmreferentinnen und -referenten der Länder mit der Filmförderungsanstalt (FFA) übernehmen. Für ihn ist die Sicherung des Filmerbes ein föderaler Auftrag, der sich nicht nach den medienpolitischen Interessen der Länder richten darf.
Sollte am 30. September 2018 tatsächlich die Digitalisierungsinitiative beschlossen werden, zahlen Bund, Länder und Filmförderanstalt als Interessensvertretung der Branche ab 2019 jährlich je ein Drittel des Budgets in einen Förderfonds ein, den die FFA verwaltet. Und zwar nach einem Drei-Säulen-Modell: Die Mittelvergabe erfolgt zu gleichen Teilen nach konservatorischen, kuratorischen und wirtschaftlichen Kriterien.
Mit dieser Mischung will man dem veralteten Gedanken eines „Filmkanons“ entgegenwirken, der seinerzeit von einer Expertenkommission der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) erarbeitet wurde, mit dem Ziel einer verbesserten schulischen Vermittlung von Filmkompetenz.
An der Unterfinanzierung der Archive ändert sich zwar nichts, doch das Filmerbe ist eine kollektive Erinnerung, die sich ständig weiterentwickelt und dadurch ermöglicht, den Kanon ständig neu zu hinterfragen.
Quelle: Tagesspiegel | Wikipedia | Süddeutsche Zeitung
Link zum kompletten Tagesspiegel Artikel hier.