Quantcast
Channel: Berliner Arbeitskreis Film e.V. - Neuigkeiten
Viewing all articles
Browse latest Browse all 324

Quo Vadis, Berlinale? - Meldung der Berliner Filmfestspiele und ein Kommentar

$
0
0
Unter der ehemaligen Leitung von Dieter Kosslick wurden bei der 69. Berlinale im Jahre 2019 noch rund 400 Filme gezeigt. Nun sind die Internationalen Filmfestspiele Berlin in Geldnot und müssen sich für die 74. Ausgabe 2024 auf die Hälfte der Filme einschränken.



Pressemitteilung der Berlinale:

Berlinale 2024: „Next Move“ - Fokussierung und Konzentration für eine zukunftsorientierte Festivalstruktur.

Nach zwei pandemiebedingten Ausnahmejahren feierte die Berlinale im Februar 2023 ein erfolgreiches und glanzvolles Comeback als Präsenzveranstaltung. Die Berlinale-Geschäftsführerin Mariëtte Rissenbeek und der Künstlerische Leiter Carlo Chatrian haben nach dem Abschluss die Festivalstruktur evaluiert. Ziel ist es, mit einer Konzentration des Programms und organisatorischen Umstrukturierungen das Festival nachhaltig gestalten zu können.

„Kulturinstitutionen und Festivals sind - wie auch viele andere gesellschaftliche Bereiche - bei gleichbleibenden Budgets von erheblichen Kostensteigerungen betroffen. Wir müssen vor diesem Hintergrund strukturelle Veränderungen einleiten, um budgetär auch künftig eine stabile Grundlage für die Organisation und Durchführung der Berlinale zu schaffen. Damit verbunden ist die Chance, mit einem konzentrierteren Programm die Präsentation und Wahrnehmung der eingeladenen Filme zu optimieren“, sagt das Leitungsduo der Berlinale.


Die Gesamtzahl der Filme soll auf circa 200 reduziert werden (in 2023 waren es 287). Daher werden alle Sektionen – mit Ausnahme des Wettbewerbs - geringfügig weniger Filme zeigen.

Das Herz des Festivals schlägt nach wie vor am Potsdamer Platz und seinem glamourösen Berlinale Palast, um von dort ein Festivalnetz über die ganze Stadt zu spannen.

Folgende Veränderungen der Programmstruktur wurden für die Berlinale 2024 entschieden:

Perspektive Deutsches Kino wird als eigenständige Sektion aufgelöst. Deutsche Nachwuchsfilme werden künftig in den bestehenden Sektionen Wettbewerb, Encounters, Panorama, Generation oder Forum präsentiert. Mit der Integration soll eine stärkere internationale Wahrnehmung für die in Deutschland produzierten Debüt- und Zweitfilme ermöglicht werden.

Das Festival setzt damit sein Engagement für deutsche Nachwuchsfilme fort.

Berlinale Series wird nicht als eigenständige Programmreihe fortgeführt, stattdessen wird das Publikum 2024 ausgewählte serielle Formate als Teil von Berlinale Special Gala zu sehen bekommen. Damit sollen außergewöhnliche Serien noch stärker ins Rampenlicht gerückt werden. Die Auswahl wird vom Künstlerischen Leiter der Berlinale, Carlo Chatrian, mit Unterstützung seines Auswahlgremiums verantwortet.

Unverändert bleiben die Serienformate für die Fachbesucher*innen: Parallel zum öffentlichen Filmprogramm findet weiterhin der Berlinale Series Market statt. Programmbestandteile sind neben der regulären Marktinfrastruktur das Konferenzprogramm, die Präsentation Berlinale Series Market Selects, die eine Auswahl an internationalen Serien als Marktpremieren mit großem Vertriebspotential zeigt, sowie internationale Showcases. Das Pitch- und Networking-Event Co-Pro Series bringt ausgewählte Serienprojekte mit potentiellen Koproduktionspartner*innen zusammen. Der Berlinale Series Market ist eine gemeinsame Initiative von European Film Market (EFM), Berlinale Co-Production Market und Berlinale Talents. Langjähriger Hauptpartner ist die Film- und Medienstiftung NRW. Gefördert wird der Berlinale Series Market vom Medienboard Berlin-Brandenburg. Medienpartner ist Deadline.

Hauptpartner des Berlinale Co-Production Market, der Co-Pro Series veranstaltet, sind die MDM - Mitteldeutsche Medienförderung und das Creative Europe – MEDIA Programm der Europäischen Union.

Berlin, 11.07.2023
Link: www.berlinale.de

++++++++++++++++

Quo Vadis, Berlinale?
ein Kommentar von Katharina Dockhorn

Ein Blick in den Haushaltsansatz von Kulturstaatsministerin Claudia Roth ließ bereits seit Wochen Böses ahnen. Doch nun ist es gewiss. Roth lässt die Berliner Filmfestspiele, das wichtigste Event der Branche und Highlight im Kulturkalender der Republik, finanziell im Regen stehen. Nur um 400.000 Euro soll der Etat des Festivals im kommenden Jahr steigen – zu wenig, um den Ausfall der Sponsoren und die Mehrkosten durch die Tarifsteigerungen für die Mitarbeitenden, den Mindestlohn, steigende Energiekosten und die Inflation abzufedern und das bisherige Programm anzubieten.

Die Entscheidung verwundert jene, die Roths großen Lobenshymnen auf die Kraft des s und die Bedeutung der Berlinale zur Eröffnung des Festivals wirklich ernst genommen haben. Wer die filmpolitische Szene dagegen seit ihrem Amtsantritt beobachtet, fürchtete solche Entwicklung. So richtig interessiert sich Roth nicht für das Metier, das ihr anvertraut wurde. Das ist zumindest der Eindruck angesichts des allgemeinen Entscheidungsstaus zu FFG, DFFF und GMPF.

Perspektive und Serien Opfer des Sparkurses

In dieser Situation wollten sich die scheidende wirtschaftliche Leiterin Mariette Rissenbeek und der Künstlerische Leiter Carlo Chatrian nicht darauf verlassen, dass bei den Beratungen des Etats von Roth im Kulturausschuss des Bundestages in den kommenden Monaten umgeschichtet wird. Sie zogen die Reißleine. Nicht wie zunächst von Rissenbeek angedacht durch die gleichmäßige Reduzierung der Anzahl der Titel in allen Sektionen, was der Qualität sicher gut getan hätte. Am 11. Juli kündigten sie an, die Perspektive Deutsches Kino und die Seriensektion komplett zu streichen. Nun wird die Show des deutschen Filmnachwuchses weder von den Zuschauern noch von den Kritikern groß vermisst werden. Der Verzicht auf das populäre Serienformat schmerzt da eher.

Inhaltlich hätte diese Entscheidung unbedingt verhindert werden müssen, nicht nur, weil der Evaluierungsbericht zum Zustand der Berlinale erst im August vorliegt. Sie fällt mitten in eine Zeitphase, in der Roth sich mit der Besetzung der beiden Leitungsposten beschäftigen müsste. Rissenbeek wird nicht verlängern, das hat sie bereits angekündigt. Spekuliert wird, dass Diana Iljine, die scheidende Leiterin der Münchner Filmfestes, übernehmen könnte. Chatrian, der als erste Amtshandlung die populäre und finanziell äußerst lukrative Reihe Kulinarisches Kino abwickelte, verzichtet jetzt auf zwei weitere unter Dieter Kosslick erfolgreich etablierte Programmreihen. Die von ihm etablierten Encounters bleiben dagegen. Das Gesamtpaket macht es für mögliche Konkurrenten um den Posten des künstlerischen Leiters nicht attraktiver, sich für Berlin zu entscheiden.

Fehlende Zukunftsvision

Auch die Aussicht, mit dem Veranstalter jedes Jahr aufs neue um die Finanzen ringen zu müssen, dürfte potentielle Interessenten eher von einer Bewerbung abschrecken. Die Knauserei der Bundesregierung ist auch deshalb ärgerlich, weil Dieter Kosslick jahrelang auf eine Erhöhung des Bundeszuschusses verzichtete. Die Politiker sonnten sich im Glanz der Stars, im Regen lassen sie die Berlinale schutzlos zurück.

Und dann ist da noch der große Elefant im Raum, die fehlende Entscheidung über den dringend benötigten Bau eines Filmhauses. Eine Kommission tagt regelmäßig und hat sich offenbar an der Frage des Raumbedarfs festgebissen. Aber immerhin gibt es bereits seit diesem Jahr einen offiziellen Haushaltsposten Filmhaus. Eingestellt sind genau 0,00 Euro.

Katharina Dockhorn




Viewing all articles
Browse latest Browse all 324